Was wird aus unseren Privatdozenten?

Mehr Habilitationen, weniger Professuren - Debatte über Problemlösungen

Nach der Promotion hat die ehrgeizige Philosophin bzw. Philosoph die Möglichkeit, noch einen weiteren, den letzten akademischen Grad zu erwerben: den des Dr. phil. habil. Er muss dazu eine umfangreiche Schrift verfassen, diese muss von einem akademischen Gremium als zur Habilitation ausreichend anerkannt werden, und er muss zudem noch den sogenannten "Habilitationsvortrag" halten. Mit der Habilitation geht die Befähigung und das Recht einher, an der Universität Vorlesungen und Seminare zu halten, aber nicht das Recht, dafür auch bezahlt zu werden.

Dafür können sich nun unsere Nachwuchsphilosophen, die nun so jung auch nicht mehr sind, auf freiwerdende Philosophie-Professuren bewerben. Bedingung ist jedoch, dass das Forschungsgebiet mit dem der ausgeschriebenen Stelle in etwa übereinstimmt. Eine speziell für die Stelle ins Leben gerufene Kommission siebt nun die eingegangenen Bewerbungen, und die Wunsch-kandidaten werden dann zu einem Probevortrag eingeladen, zum "Vorsingen", wie es im Universitätsjargon heißt. Oftmals sind es gar nicht Privatdozenten, die berufen werden, sondern gestandene Lehrstuhlinhaber, und manchmal sind diese an der ausgeschriebenen Stelle selbst gar nicht interessiert, sondern wollen mit einer Berufung ihre Arbeitsbedingungen am alten Ort verbessern. Nehmen sie den Ruf wirklich an, wird ihre Stelle am alten Ort (sofern sie infolge Sparmaßnahmen nicht gestrichen wird) erneut ausgeschrieben, und das Karussell beginnt sich wieder zu drehen.

Zwar ist die Kandidatenliste nicht öffentlich, aber unser Privatdozent erfährt schnell, dass er nicht der einzige Kandidat ist: auf viele Stellen melden sich meist mehr als 40, oft 80 und mehr Bewerber. Da genügt es nicht, ein gewichtiges Buch geschrieben zu haben; wichtig ist es auch, eine möglichst lange Veröffentlichungsliste vorlegen zu können, noch wichtiger ist es aber, sich mit maßgeblichen Philosophen gut zu verstehen und auch in der gewünschten philosophischen Tradition zu arbeiten, und manchmal spielt auch das Geschlecht eine Rolle. Kurz: Es gibt viel mehr Privatdozenten als Professoren in der Philosophie.

Mit dem Ende der DDR hatte sich die Situation entschärft. Mit der Evaluierung der DDR-Philosophie wurden unerwartet Lehrstühle in den neuen Bundesländern frei, und der Privatdozenten-Überhang konnte auf einen Schlag abgebaut werden. Manche spotteten, Philosophen dritter Qualität hätten nun die Marxisten abgelöst, aber die Entwicklung hat ganz im Gegenteil gezeigt, dass zwischen den alten und neuen Bundesländern kein Qualitätsunterschied zu bemerken ist. Einige von denen, die damals einen Lehrstuhl erhielten, sind inzwischen bereits in die alten Bundesländer zurückberufen worden.

Das Jahrbuch Bildung und Kultur 1998 des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 11, Reihe 4.4. Personal an den Hochschulen) weist folgende Lage aus: 1998 gab es im Fach Philosophie 305 Professoren, 143 Dozenten und Assistenten und 351 wissenschaftliche Mitarbeiter und 11 Lehrkräfte für besondere Aufgaben.

Von diesen gut 300 Professuren werden bis zum Jahr 2010 jährlich etwa 16 emeritiert oder pensioniert. Allerdings werden einige davon gestrichen (Sparpläne, Fiebiger-Programm usw.), so dass man - absichtlich optimistisch gerechnet - mit etwa 14 jährlich zur Ausschreibung kommenden Stellen rechnen darf. Nach dem Jahr 2010 verringert sich die Pensionierungsrate ziemlich abrupt um etwa ein Drittel.

Auf der anderen Seite haben sich von 1989 bis 1993 jährlich durchschnittlich 16,4 Personen im Fach Philosophie habilitiert, 1994-98 jährlich durchschnittlich 32,6 (1998 in der Tat 45). Das Verhältnis von jährlichen Habilitationen zu Professorenstellen ist in keinem anderen Fach so dramatisch wie in der Philosophie. Wenn sich das fortsetzt - derzeit ist nicht zu sehen, dass der Trend bricht -, so folgt daraus, dass über 60% der Habilitierten ihr Ziel einer Professur nicht erreichen können. Hinzu kommt, dass die Zahl der Habilitierten, die gegenwärtig eine Stelle suchen, bereits jetzt sehr hoch ist (sicherlich weit über 100).

Dabei ist die Lage für die Habilitierten gegenwärtig so schlecht wie noch nie in den vergangenen 30 Jahren. In den achtziger Jahren wurde die Begrenzung der Assistenzzeit auf sechs Jahre eingeführt, das Fiebiger-Programm ist schon lange ausgelaufen, und auch das Heisenberg-Programm der DFG läuft nicht mehr ganz in der alten Höhe weiter; insgesamt ist die Habilitierten-Förderung deutlich geringer geworden. Auf der anderen Seite gibt es nach wie vor reichlich Fördermittel für Promotionen und insbesondere Habilitationen. Dazu zählen nicht nur Habilitationsstipendien, auch Forschungsprojekte dienen indirekt oft der Abfassung einer Habilitationsschrift. So werden viele zu etwas ermuntert, was sie unter Umständen später bereuen werden.

Schließlich gelten Habilitierte für andere Stellen als "überqualifiziert", womit für sie also nur der Beruf des Philosophieprofessors in Frage kommt. Wer sich also gegenwärtig zu einer Habilitation entschließt, geht ein großes Risiko ein; überspitzt gesagt, wird er entweder Professor oder arbeitslos, wobei das letztere viel wahrscheinlicher ist. Da das durchschnittliche Habilitationsalter in den Geisteswissenschaften mittlerweile bei 41,5 Jahren liegt, zeigt es sich erst spät, ob jemand in der akademischen Laufbahn bleiben kann oder nicht; zu spät, um noch einen anderen, annähernd gleichwertigen Beruf ergreifen zu können.

Die Institution, die angesicht dieser Situation Alarm schlagen müsste, die "Allgemeine Gesellschaft für Philosophie", schweigt. Sie beschränkt sich lediglich darauf, ein Verzeichnis der stellensuchenden Habilitierten zu führen (das gegenwärtig 62 Namen umfasst, im Mai 1995 waren es noch vierzig, aber viele der Betroffenen haben von dieser Liste keine Kenntnis). Hinzu kommt, dass diejenigen, die es geschafft haben, also die Philosophieprofessoren, sich offenbar wenig für die Probleme des Nachwuchses interessieren, und auch andere Institutionen fühlen sich für die dramatisch werdende Situation nicht zuständig.

In finanzieller Hinsicht gesehen hat der Staat in diese Privatdozenten viel investiert, sie kennen den Stand der Forschung ihres Fachgebietes, und sie sind meist hochmotiviert. Welche Möglichkeiten gibt es, einerseits dieses Wissen zu nutzen und andererseits Privatdozentinnen und Privatdozenten für Philosophie eine einigermaßen gesicherte Zukunftsperspektive zu bieten? "Information Philosophie" hat diese Frage zur Diskussion gestellt. Über das Habilitiertenproblem diskutieren Wolfram Hogrebe, Eckehard Martens, Jürgen Mittelstraß. Wolfgang Spohn, Klaus von Trotha und Ernst-Ludwig Winnacker.

Wolfgang Spohn, Professor für Philosophie in Konstanz

Herr Spohn, Sie sind einer der wenigen Philosophieprofessoren, die sich für die Privatdozenten einsetzen und das sich verschärfende Privatdozentenproblem sehen. Der verstorbene Jan Holl hat einmal gesagt, man müsse das Problem erst philosophisch angehen, bevor Philosophen sich dafür interessieren. Ist das wirklich so schlimm?

Ich hoffe nicht, denn es handelt sich natürlich nicht um ein philosophisches Problem. Gesamtgesellschaftlich betrachtet handelt es sich sogar um ein kleines Problem; insofern ist nicht viel Hilfe von außen zu erhoffen. Aber es ist wirklich ein großes Problem der Philosophie, welches wir uns unbedingt zu Herzen nehmen müssen. Vielleicht hilft ja ein wenig der Gedanke, dass diejenigen, die jetzt eine Professur innehaben - für die meisten sicherlich der schönste Beruf, den sie sich vorstellen können - , auch das unverdiente Glück gehabt haben, ihre Laufbahn zu einer sehr günstigen Zeit eingeschlagen zu haben. Natürlich kann man das eigene Glück schlecht teilen, aber der Gedanke daran bewegt einen vielleicht, das Unglück anderer zu lindern zu suchen.

Haben Sie konkrete Lösungsvorschläge, um die Situation der Privatdozenten zu verbessern?

Wolfgang Spohn: Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die die Situation bessern. Jeder einzelne kann seinen Beitrag leisten, indem er (oder sie - von den oben erwähnten 298 Professoren sind nur 15 weiblich) seine Stellen nicht von vornherein aus dem eigenen Umfeld besetzt, sondern durch Stellenausschreibung u.ä. sich offenen Sinnes einen ernsthaften Überblick über die Nachwuchslage verschafft, indem er sich im eigenen Hause restriktiv verhält und nur denjenigen die Wege offen hält, die er dazu wirklich für befähigt hält, etc.

Freilich bin ich nicht optimistisch, dass das weit trägt. Die Situation ist ja eine Art Gefangenendilemma, und der immer wieder genährte Eindruck, die Kollegen betrieben eher Hauspolitik, untergräbt die eigene Bereitschaft zu konstruktiverem Verhalten; aus dieser Lage ist schwer herauszukommen. Auch ist mein Eindruck, dass die überscharfe Konkurrenz unter dem Nachwuchs diesen Effekt eher verstärkt.

Schließlich laufen die institutionellen Anreize in die falsche Richtung. Bei Berufungs- und Bleibeverhandlungen geht es vor allem um die Zahl der Mitarbeiterstellen, und man wird für Drittmitteleinwerbungen belohnt und für deren Fehlen womöglich bestraft. Wer mag schon mit Absicht nach den herrschenden Kriterien ein erfolgloser Wissenschaftler sein?

Im Kern ist das Problem ja auch struktureller Natur. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, die entscheidende akademische Selektion erst zu inszenieren, wenn die Betroffenen im Schnitt deutlich über 40 Jahre alt sind, und dann über die Hälfte ins Nichts zu entlassen. Wirkliche Abhilfe liegt meines Erachtens nur in einer drastischen Absenkung des Hauptselektionsalters um mindestens 10 Jahre.

Und wie soll das vor sich gehen?

Wolfgang Spohn: Von der Sache her wäre das kein Problem; ob ein Kandidat zur akademischen Laufbahn befähigt ist, lässt sich fast immer mit ähnlicher Sicherheit beurteilen, wenn er erst 32 Jahre alt ist. Eine solche Absenkung erreicht man nicht, indem man die jetzigen Pflichtschritte beschleunigt, wie es derzeit versucht wird; meines Erachtens geht das nur durch den radikalen Verzicht auf die Habilitation. Das setzt voraus, dass auch die Strukturen darunter reformiert werden und dass insbesondere die Allein-vor- sich-hin-Promoviererei, die noch durchaus den Regelfall bildet, durch ein konzentriertes, von der ganzen Abteilung oder Fakultät gemeinsam getragenes Promotionsstudium ersetzt wird, welches die akademische Befähigung der Doktoranden transparent macht. Letzteres könnte man wiederum dadurch erreichen, dass man das Promotionsrecht nicht dem einzelnen Professor, sondern nur hinreichend qualifizierten Abteilungen oder Fakuläten gibt (und das heißt eben: nicht allen!); das erzeugte wie keine andere Maßnahme fruchtbare Konkurrenz unter den Abteilungen oder Fakultäten.

Nur kann das nicht allein die Philosophie betreffen, das ist vielmehr ein Vorschlag, der die ganze Universitätsstruktur betrifft.

Wolfgang Spohn: Ja, wegen der Philosophie allein wird es eine solche Strukturreform nicht geben. Doch weisen die Daten des statistischen Bundesamtes aus, dass sich viele und vor allem Geisteswissenschaften in einer ähnlichen Lage befinden (wenn auch die der Philosophie in dieser Hinsicht besonders dramatisch zu sein scheint). So hoffe ich, dass damit der Reformdruck groß genug wird.

Nun lediglich darauf zu warten, dass die Politik die großen Schritte tut, wäre freilich fahrlässig. Es gibt auch unter dieser politischen Ebene einiges zu tun. Die obigen Zahlen zeigen ja eine große Schieflage im Verhältnis von Dauer- und Zeitstellen. Daher läge eine ganz wichtige Maßnahme darin, die Verbesserung des Professoren/Assistenten-Verhältnisses wieder in Angriff zu nehmen, die nach der Einführung der strikt 6-jährigen Assistentenzeit für einige Jahre betrieben wurde und dann unverständlicherweise völlig ins Stocken geriet; das ließe sich kostenneutral bewerkstelligen. Ebenso könnte man die oben erwähnten institutionellen Anreize anders setzen. Schließlich kann man die Drittmittel anders verteilen; man kann die Postgraduierten/Habilitanden-Förderung restriktiver handhaben und so schon früher den Flaschenhals verengen, und man kann den Privatdozenten stärker unter die Arme greifen. Leider hat gerade die DFG das in den vergangenen Jahren umgekehrt gesehen.

Ein letzter Punkt ist, dass man sich verstärkt um die Öffnung von Berufsfeldern für Philosophen öffnen sollte. Mit 40, 45 ist natürlich jeder Berufswechsel schwer; für Philosophen ist er aber besonders schwer. Er sollte auch mit 27 oder 32 noch leichter werden, so dass dem qualifizierten Magister und hochqualifizierten Doktor noch andere Dinge einfallen als immer nur die akademische Laufbahn. Eine große Chance liegt im Philosophielehrer-Bedarf; da gibt es ja auch positive Entwicklungen. Andere Felder wie Künstliche Intelligenz und maschinelle Sprachverarbeitung oder der gesamte Management-Bereich, in die etwa in den USA systematisch hinübergewechselt wird, sind freilich bei dem überwiegenden Ausbildungsprofil der deutschen Philosophie schwer zu besetzen.

Jürgen Mittelstraß, Professor für Philosophie in Konstanz

Herr Mittelstraß, Sie waren nicht nur Präsident der Allgemeinen Gesellschaft, sie haben sich auch in der Diskussion um eine Universitätsreform engagiert. Was für Möglichkei-ten sehen Sie, das Problem der Privatdozenten in der Philosophie zu entschärfen?

Wesentliche - im übrigen auch andere Disziplinen betreffende - Punkte wurden bereits von Herrn Spohn genannt. Ich schließe an diese an und ergänze sie um einige weitere Überlegungen:

1. Abkehr von der Habilitation in ihrer gegenwärtigen Form, d.h. gebunden an eine weitere große Arbeit. Wer - was heute bei den meisten Habilitierten in den Geisteswissenschaften der Fall ist - mit der Habilitation seine Lebensmitte erreicht hat, steht meist schon am Ende eines beruflichen Weges, ohne diesen jemals wirklich beschritten zu haben. Die Berufungsfähigkeit, auch im formalen Sinne, muss früher erreicht werden, d. h. zu einem Zeitpunkt, an dem für einen habilitierten Philosophen auch andere Berufsmöglichkeiten offenstehen.

2. Abkehr von der vermeintlichen (in der neueren Universitätsentwicklung eingerissenen) Normalität, zum Ende einer wissenschaftlichen Mitarbeitertätigkeit in der Universität gehöre die Habilitation. Nur die wirklich Besten, d.h. diejenigen, denen man zutraut, dass sie die Wissenschaft voranbringen bzw. produktiv verändern, sollten zur Habilitation ermuntert werden bzw. nur diesen sollte der Weg zur Habilitation (oder einer vergleichbaren Qualifikation) offenstehen. Heute wird in Habilitationsschriften (nicht nur in der Philosophie) zu viel (meist historische) Normalität produziert. Allein die ungewöhnliche Leistung sollte am Eingang zur Hochschullehrertätigkeit stehen. Und: Ein System, das die Fortpflanzungsbedingungen für das Exzellente und das Mittelmäßige gleich hält, steuert selbst in das Mittelmäßige.

3. Umkehr der Förderungsrichtung von der Habilitandenförderung bzw. Postgraduiertenförderung auf die Habilitiertenförderung (bei Wegfall der Habilitation könnte beides allerdings auf dasselbe herauslaufen).

4. Konsequentere Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses hin auf Berufs- bzw. Anstellungsmöglichkeiten auch im Ausland. Der Anfang muss mit einer Verstärkung internationaler Studien sowohl im normalen als auch im Doktorandenstudium gemacht werden. Wer sich in seinen Qualifikationsbemühungen nur auf den deutschen Wissenschaftsmarkt konzentriert, läuft in eine Berufsfalle.

5. Schaffung von Assistenzprofessuren auf Zeit zu Lasten bestehender Assistenten- und Angestelltenstellen. Damit könnten 'Tenure Track'-Elemente verbunden werden, ohne das (sinnvolle) Hausberufungsverbot generell außer Kraft zu setzen.

6. Umstellung auf Zeitverträge auch im Professorenbereich. Die Regel 'einmal Professor, immer Professor' sollte nicht mehr gelten - zum Wohle der Wissenschaft und des qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchses.

Es dürfte klar sein, dass derartige Veränderungen nur bundesweit und über alle Disziplinen hinweg realisierbar sind. Insofern gibt es auch keinen Sonderweg der Philosophie aus der Habilitiertenmisere. Allerdings könnte die Philosophie dadurch beispielhaft vorausgehen, dass sie ihre Vorliebe für die Wirklichkeit im Dämmerlicht ablegt und mit dazu beiträgt, für die (Bewältigung der) wirklichen Probleme unserer Welt auszubilden. Dann würden die Berufschancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs (nicht nur den habilitierten) in der Philosophie auch jenseits der akademischen Philosophie wieder wesentlich günstiger werden.

Klaus von Trotha, Minister für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg:

Ich teile die Auffassung von Herrn Professor Mittelstraß. In diese Richtung weisen inzwischen auch verschiedene aktuelle Überlegungen in der Hochschulpolitik:

1. Es trifft zu, dass eine Lösung des Problems bundesweit und disziplinenübergreifend angelegt werden muss. Deshalb begrüsse ich, dass die Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode eine durchgreifende Reform des Hochschullehrerdienstrechts auf den Weg bringen will. In diesen Zusammenhang gehört auch eine Neuordnung des Qualifikationsweges zum Hochschullehrer, die auf eine Verkürzung der Qualifikationsdauer und eine Verbesserung des Verfahrens zur Feststellung der Qualifikation der Nachwuchswissenschaftler in Forschung und Lehre ausgerichtet werden muss.

Bemerkenswert ist, dass sich in der überregionalen Diskussion, die gegenwärtig vor allem durch die Empfehlungen der vom Bund eingesetzten Expertenkommission und die Stellungnahmen der Kultusministerkonferenz geprägt wird, bereits eine weitgehende Übereinstimmung über die Grundstruktur der Reform abzeichnet.

2. Zentraler Reformansatz ist die Ablösung der Habilitation als Regelqualifikation durch eine Qualifizierung im Rahmen einer zeitlich befristeten Assistenzprofessur. Der Assistenzprofessor soll sich aufgrund eigenverantwortlicher Forschung und Lehre für die Übernahme einer Dauerprofessur qualifizieren und hierzu mit einem eigenen Budget sowie einer drittmittelfähigen Grundausstattung ausgestattet werden. Die Qualifikation der Assistenzprofessoren wird durch die aufnehmende Hochschule im Rahmen des Berufungsverfahrens aufgrund der erbrachten wissenschaftlichen Leistungen beurteilt. Damit würde die Habilitation ihre bisherige Funktion verlieren. Dabei lässt dieses Verfahren durchaus Raum für unterschiedliche Fächerkulturen: so ist es denkbar, dass im Bereich der Geisteswissenschaften auch in Zukunft dem sogenannten ,,zweiten Buch" eine zentrale Bedeutung als Nachweis der Qualifikation im Bereich der Forschung zugemessen wird.

3. Herr Professor Spohn hat zurecht darauf hingewiesen, dass im hergebrachten System die akademische Selektion zu spät stattfindet. Hier haben wir im Zusammenhang mit der Einführung der Assistenzprofessur die Chance zu einer durchgreifenden Verbesserung der Situation:

- Die Feststellung der Qualifikation der Nachwuchswissenschaftler für eine dauerhafte Tätigkeit als Hochschullehrer soll wesentlich früher erfolgen als bisher. Im Rahmen der Neuordnung des Qualifikationsweges müssen wir sicherstellen, dass die Gesamtdauer der Qualifizierungsphase unter Einschluss der Promotion im Regelfall 9 Jahre nicht übersteigt. Im Alter von 34 Jahren fällt eine berufliche Neuorientierung wesentlich leichter als im fünften Lebensjahrzehnt, zumal die Betroffenen bereits eigenverantwortlich tätig waren.

- Gewisse Selektionselemente müssen bereits in den Qualifikationsweg eingebaut werden. Die Assistenzprofessuren müssen aufgrund öffentlicher Ausschreibung besetzt werden. Zusätzlich kann eine Zwischenevaluation mit Ausschlusswirkung nach der ersten Hälfte der Assistenzprofessur erwogen werden.

4. Das Land wird seine Maßnahmen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses an diesen hochschulpolitischen Zielsetzungen orientieren. Gezielte Maßnahmen zur Förderung von Habilitationen wird es - mit der Ausnahme der Weiterführung des ,,Margarete von Wrangell - Habilitationsprogramms für Frauen" - nicht mehr geben. Wir wollen vielmehr einen Schwerpunkt auf die Förderung der selbständigen Qualifikation von Nachwuchswissenschaftlern setzen. In diesen Zusammenhang verweise ich auf das bereits laufende Emmy-Noether-Programm der DFG, das von Bund und Ländern gemeinsam finanziert wird. Darüber hinaus stelle ich mir ein eigenes Postdoktorandenprogramm des Landes vor, dessen Finanzierung aber noch gesichert werden muss.

Wolfram Hogrebe, Präsident der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland

Herr Hogrebe, der Nachwuchs sei Ihnen ein wichtiges Anliegen, hieß es in einer Pressemeldung nach Ihrer Wahl zum Präsidenten der Allgemeinen Gesellschaft für Philo-sophie in Deutschland. Sind dabei die Privatdozenten eingeschlossen?

Selbstverständlich. Im Übrigen muss man in dieser notwendigen, nicht erst heute notwendigen Debatte einige Dinge richtig stellen. Im Vorspann zu ihrem Diskussionsteil schreiben Sie, dass eine Institution, die in der schwierigen Situation der Privatdozenten im Fach Philosophie Alarm schlagen müsste, also die 'Allgemeine Gesellschaft für Philosophie in Deutschland' (AGPD) schweigt. Das ist unzutreffend.

Erstens hat Herr Spohn auf Veranstaltungen der AGPD, meines Wissens zuerst in Halle auf der Tagung des Engeren Kreises 1997, eindringlich auf dieses Problem hingewiesen und seither des öfteren. Aber das Problem ist ja viel älter, und die AGPD hat das natürlich auch angesprochen. Der Präsident der AGPD Hans Lenk hat Anfang der neunziger Jahre dieses Problem in aller Deutlichkeit in seiner Rede vor der Kultusministerkonferenz dargestellt und Schritte zu seiner Lösung angemahnt. Aber nun konkreter.

Mir sind offengestanden die in dieser Debatte angesprochenen Lösungsmöglichkeiten entweder zu uneffektiv oder falsch gelagert. Gewiss ist es richtig, dass das Habilitationsalter abgesenkt werden muss. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle, nicht zuletzt der Drive der Habilitanden selbst. Es ist jedenfalls nicht prinzipiell unmöglich, sich in Deutschland mit Anfang dreißig zu habilitieren, und es gibt etliche Beispiele, die ich nicht namentlich anführen will, die das belegen. Herr Spohn weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die zu lange Promotionszeit ein nicht unwesentlicher Verzögerungsfaktor ist. Auch das ist richtig. Aber daraus den Schluss zu ziehen, dass dem einzelnen Professor das Promotionsrecht zu entziehen und einem Kollektiv (eine hinreichend qualifizierte Abteilung oder der Fakultät) vorzubehalten ist, ist mit Sicherheit ein Schritt in die falsche Richtung. Die sowohl von Herrn Spohn wie von Herrn Mittelstraß wie auch von Frau Bulmahn befürwortete Abschaffung der Habilitation bringt meines Erachtens auch keinen Geländegewinn. Erstens vermehrt sich gerade dadurch die Zahl der Aspiranten, zweitens soll man nicht so tun, als ob ohne zweites Buch selbst in den USA ein Blumentopf (tenure) zu gewinnen wäre, und drittens geht den Nachwuchswissenschaftlern ein Rechtsinstitut (Privatdozent) verloren. Schließlich wird empfohlen, die Zahl der Habilitationen generell zu vermindern. Hier wird man vorsichtig zustimmen wollen, obwohl eine solche Bewirtschaftung des Habilitationsvolumens auch Probleme aufwirft, die schon einmal Realität waren, an die sich bloß keiner mehr erinnert. Trotzdem ist Herrn Mittelstraß zuzustimmen, dass die Habilitation nicht schlichtweg der normale und reguläre Abschluss einer wissenschaftlichen Mitarbeitertätigkeit sein sollte.

Den hier an der Debatte Beteiligten ist allerdings klar, dass ausgerechnet die Philosophie in Konstanz im letzten Jahrzehnt mit Abstand die meisten Privatdozenten 'produziert' hat. Ich sage das nicht, um das zu kritisieren, - denn dafür hat es ja gute Gründe gegeben - sondern nur um darauf hinzuweisen, dass es in diesen Dingen nicht um Stückgutprobleme geht, sondern um in der Regel exzellente junge Menschen, die ihre eigenen Hoffnungen haben. Nun zur Lösung des Problems. Immer vorausgesetzt, dass die Habilitation als Exzellenzfilter erhalten bleibt, geht es einfach darum, dass den Habilitierten die Möglichkeit geboten wird, sich um das zu bewerben, was man früher ‘Diätendozentur’ nannte. Weil dies der vernünftigste Weg ist, das Problem mir und anderen auch schon aus den achtziger Jahren vertraut war, habe ich in Jena 1992 mit dem Kanzler exakt diese Lösung besprochen und - reden und klagen ist nicht alles - umgesetzt: die Universität Jena verfügt über einen zentralen Pool an C2-Qualitäten, um die sich Privatdozenten aller Fakultäten bewerben können. Diese Stellen werden bei gegebener Exzellenz nur ad personam bereitgestellt und fallen nach Nutzung an den Pool zurück. Damit ist ein elastisches Instrument geschaffen, das die Dringlichkeit der Problemlage zumindest lindert. Warum gibt es ein solches Instrumentarium. nicht auch an anderen Universitäten?

Sollten allerdings die von Frau Bulmahn und der Regierung derzeit geplanten neuen Hochschulgesetze verabschiedet werden, geht die deutsche Universität ohnehin den Bach runter. Diejenigen, die das zuerst zu spüren bekommen, sind natürlich wieder die jungen Nachwuchswissenschaftler.

Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Herr Winnacker, eine Umkehr von der Habilitanden- zur Habilitiertenförderung wird hier gefordert. Sie sind Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und haben erhebliche Möglichkeiten, die Förderung entsprechend zu lenken. Was kann die DFG zur Minderung des Habilitiertenproblems in den Geisteswissenschaften beitragen?

Die DFG leistet wichtige materielle und karrierefördemde Hilfestellung für einige der besten Nachwuchskräfte in einer kritischen Phase ihres Weges zum Hochschullehrerberuf - durch die Stipendien des Heisenberg-Programms. Freilich handelt es sich dabei um ein Exzellenzprogramm, und seine Absicht ist nicht, allen Privatdozenten ein Auskommen zu verschaffen. Sein Beitrag zur Lösung oder auch nur Milderung des hier diskutierten Problems ist begrenzt. Es leistet indes viel für die, die in diesem Programm zum Zuge kommen, und es trägt erheblich dazu bei, einen Teil der begabtesten jungen Leute in der Wissenschaft zu halten oder für Forschung und Wissenschaft in Deutschland zurückzugewinnen.

Über die konkrete materielle Hilfe hinaus haben die Förderangebote der DFG eine wichtige hochschulpolitische Bedeutung - im Sinne der Bewusstseinsbildung und der Anreizsetzung zu Veränderungen. Lassen Sie mich das am Beispiel eines Programms erläutern, mit dem die DFG einige der dring-lichsten Kurskorrekturen in der Ausbildung des Hochschullehrernachwuchses angestos-sen hat und gezielt unterstützt: die Qualifikationswege zum Hochschullehrerberuf verkürzen und transparenter machen, sie vielgestaltiger anlegen und von prozeduralem Ballast und zu starken persönlichen Abhängigkeiten befreien. Das Emmy Noether-Programm der DFG setzt auf eine Stärkung der internationalen Orientierung und der früheren Selbständigkeit bei der Qualifizierung zum Hochschullehrer oder auch zur Hochschullehrerin. Es setzt Anreize zu einem alternativen - habilitationsunabhängigen - Qualifikationsweg für den Hochschullehrerberuf.

Das Programm eröffnet jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlem im Anschluss an eine frühzeitig erreichte Promotion die Perspektive einer fünfjährigen Förderung, die in einem zweijährigen Auslandsstipendium und einer dreijährigen Förderphase im Inland besteht, in welcher Mittel für die eigene Stelle (nach BAT 1a) und für den Aufbau einer Nachwuchsgruppe zur Verfügung stehen. Die DFG hat für dieses Programm einen Umfang von im Endzustand rund 500 Postdocs in der laufenden Förderung vorgesehen, bei durchschnittlich ca. 100 Neubewilligungen oder rd. 120 Mio. DM pro Jahr. Das ist keine ganz unbedeutende Investition. Gewiss wird der Erfolg des Programms letztlich davon abhängen, in welchem Maße die so Qualifizierten am Ende - auch ohne Habilitation - zu Hochschullehrern berufen werden. Doch sehen wir Grund, dies mit Optimismus abzuwarten. Jedenfalls erscheinen mir eine solche Anreizsetzung und der damit verbundene Perspektivenwechsel dringlicher als die Umkehr von der Habilitanden- zur Habilitierten-Förderung, auf die Sie mich angesprochen haben.

Es liegt mir außerdem daran, in Erinnerung zu rufen, dass die DFG eine Verantwortung für die Förderung der Wissenschaften in allen ihren Zweigen hat. Insofern ist es nicht ihre erste Aufgabe, nach maßgeschneiderten Lösungen für spezielle Probleme, einzelner Fächer oder Fächergruppen zu suchen. Die Förderangebote der DFG richten sich prinzipiell an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen. Sie müssen also hinreichend breit und allgemein angelegt sein, andererseits die nötige Differenziertheit und Flexibilität aufweisen, um den Verschiedenheiten der einzelnen Fachkulturen Rechnung zu tragen und nicht strukturell die einen zu benachteiligen, die anderen zu privilegieren. Das ist manchmal die Quadratur des Kreises. Andererseits liegt darin der heilsame Zwang, die Pflege der disziplinären Besonderheiten nicht auf die Spitze zu treiben und sie bisweilen durch den Blick auf die Verfahrensweisen anderer Fachkulturen zu relativieren.

Die Frage, was die DFG zur Linderung dieses oder jenes fach- oder fächerspezifischen Problems beitragen kann, wird häufig gestellt und hat gewiss ihre eigene Berechtigung. Sie ist aber häufig auch zu eng gefasst und entspringt einer einseitigen Betrachtungsweise. Zumindest sollte sie sich mit der Gegenfrage schon mal auseinandergesetzt haben: Was leistet dieses spezielle Fach für die DFG? Welches ist sein spezifischer Beitrag für eine Verbesserung der Forschungsbedingungen und Forschungsleistungen in Deutschland? Nutzt es in ausreichendem Maße die bestehenden Förderangebote und die Spielräume zu einer aktiven Mitgestaltung der Förderinstrumente und -programme? Die DFG ist keine Regulierungsbehörde. Sie ist die Selbstverwaltungsorganisation der in Wissenschaft und Forschung Tätigen und Engagierten.

Ekkehard Martens, Professor für Didaktik der Philosophie in Hamburg

Herr Martens, könnte man es nicht so einrichten, dass bei Philosophie-Lehrerstellen Privatdozentinnen und Privatdozenten automatisch vorgezogen würden? Diese könnten sich dann weiterhin um eine Professur bewerben. Gleichzeitig hätten die Schüler hochqualifiziertes Lehrpersonal.

Eine automatische Bevorzugung von nichts als Habilitierten bei der Einstellung von Philosophielehrern ist auf keinen Fall wünschenswert. Einmal abgesehen von den nicht unüberwindlichen formalen Hindernissen sehe ich das Problem darin, dass die Schüler damit zwar fachlich, aber nicht pädagogisch und didaktisch hochqualifizierte Lehrer hätten, und selbst die fachliche Qualifikation ist oft genug wegen des Spezialisierungsdrucks eine bloße "Fachidiotie" Auch sehe ich die Gefahr, dass die Möchtegern-Professoren ihren Frust an den Schülern auslassen und ständig auf dem Absprung sind. Andrerseits bietet die Ausweitung des Ethik- und Philosophieunterrichts in der Tat erfreulichere Berufsaussichten, allerdings zunächst einmal für die ebenfalls meistens fachlich, zudem genügend breit und außerdem pädagogischdidaktisch hochqualifizierten fertigen Referendare in Wartestellung. Am besten wäre daher eine Doppelqualifikation als Referendar und Habilitierter. Dies käme den Studenten und Schülern zugute, außerdem könnte es ein konkreterer, lebensbezogenes Philosophieren bewirken. Leider gibt es für eine derartige Doppelqualifikation bisher nur wenige Beispiele - PD/StR Dr. Volker Steenblock, Bochum/Münster, ist noch zu haben. Und häufig verdrängen ehemalige Referendare, die es doch noch geschafft haben, am liebsten ihre pädagogische Vergangenheit. Die Lehre, ob an der Schule oder an der Hochschule, wird bei uns noch immer zu wenig als Herausforderung auch für die Philosophie geschätzt und dienst meistens nur als notwendiges Übel zur Stellenabsicherung. Insgesamt ist also nicht die automatische Bevorzugung Habilitierter an der Schule, sondern die faktische Chancenerhöhung von Privatdozenten und Pädagogen zugleich an Hochschule und Schule wünschenswert.

 

Peter Moser